Das Anna-Phänomen
Als ich 2010 mit der Promotion begann kannte ich die kursierenden Zahlen, dass viele Menschen, die eine Doktorarbeit anfingen, diese nie vollenden. Es gibt dazu keine Statistiken, nur abgeschlossene Arbeiten werden erfasst, nicht solche, die in Angriff genommen werden. Doch jede*r kannte irgendwen, Kommiliton*innen, Mitkollegiat*innen, enge Freund*innen. Ich informierte mich, welche Strategien empfohlen wurden, um dranzubleiben und die Arbeit durchzuziehen. Dabei stieß ich auf einen Bericht, dass PhD-Students in den USA eine weit höhere Abschlussquote hatten, wenn sie bereits während der Doktorarbeit kleine Artikel verfassten, für Zeitungen oder Zeitschriften oder auch Blogbeiträge. Während des Studiums lernt man viele Arten des Lesens, das Schreiben wird jedoch nicht mit derselben Sorgfalt kultiviert. Also beschloss ich zu schreiben. Ich richtete einen Blog ein. Zunächst bestückte ich ihn mit kurzen Beobachtungen oder Begebenheiten aus meinem Alltag als gebürtige Westfälin und sozialisierte Berlinerin im hessischen Gießen. Doch zunehmend verselbstständigten sich diese Geschichten und sie fiktionalisierten sich. Der Anna-Charakter war geboren. Mit den Geschichten ging ich zu einer Lesebühne und versammelten einige von ihnen 2015 zu einem Roman. Bislang mein erster und letzter. Ideen, Konzepte und Bausteine für weitere liegen in der Schublade. Aber das gedruckte Buch ist ohnehin bald Geschichte. Oder?
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Leseprobe:
»Wir können nicht vögeln«, sage ich und schaue ihn nun doch an. »Wieso nicht?«, ruft Max. Er klingt richtig empört. »Ich blute«, antworte ich. Max verzieht das Gesicht. Ich sehe ihm an, dass er nun gerne sagen würde, wie eklig er das findet, wenn Frauen so was laut aussprechen. Viel lieber wäre es ihm, wenn wir stumm bluten würden.
Allerdings fällt ihm gleichzeitig beim Darüber-Nachdenken ein, dass er mir das schon mehrfach gesagt hat, da wir ja mal ein Paar waren und es daher öfter vorkam, dass ich meine Tage hatte, wenn er ficken wollte (und ganz zu Beginn hat es ihn auch kein bisschen gestört). Dann hat es immer endlose Diskussionen gegeben, in denen ich vorbrachte, dass ich fände, im 21. Jahrhundert als Frau das Recht zu haben, laut zu sagen, dass ich meine Tage habe, wann, wo und wie es mir passt.
Und dass es ja wohl nicht mein Problem sei, sondern seiner mangelnden gesellschaftlichen Emanzipation geschuldet, dass er das eklig findet. An all das erinnert sich Max in diesem Moment, und so schweigt er lieber und nimmt die Aussage hin. Dabei stimmt es gar nicht, ich hab gar nicht meine Tage.